Vertrauen in die Arbeit der IVW

„Vertrauen wird dadurch erschöpft, dass es in Anspruch genommen wird“, lässt Bertolt Brecht seinen Galilei sagen. Ziel des zornigen Einwurfs in Brechts Drama ist der im Mittelalter befangene Klerus, der die präzisen, empirisch erhobenen Forschungsergebnisse des Wissenschaftlers fürchtet. Schließlich könnten diese das Vertrauen in die kirchliche Deutungshoheit untergraben.

Von Dr. Kai Kuhlmann, IVW-Geschäftsführer
erstmals veröffentlich im IVW-Geschäftsbericht 2021/2022

Die IVW und der Datenschutz

Auch für die Medienbranche und den digitalen Werbemarkt ist fehlendes Vertrauen ein Problem. Der Gesetzgeber scheint in einem ähnlichen Misstrauen wie die mittelalterlichen Kleriker befangen zu sein. Seit Dezember 2021 knüpft das TTDSG, das Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz, strenge neue Anforderungen an Verfahren zur digitalen Nutzungsmessung. Um Informationen über das technisch Erforderliche hinaus abzuspeichern, benötigen Website-Betreiber und Anbieter digitaler Inhalte nun ausnahmslos die nachweisliche Einwilligung ihrer Nutzer.

Das betraf auch die Messungen der IVW, obwohl keine personenbezogenen Daten
erfasst wurden. Für Meedia-Redakteur Jens Schröder ein Beispiel dafür, wie das TTDSG „wichtige und richtige Datenbanken, Analysen, Forschungen“ verhindert, weil es selbst dort bremst, wo nichts zu schützen ist.

Zudem will die Mehrheit der Verbraucher Umfragen zufolge keine derart rigiden Einschränkungen. Die Datenschutzbedenken sind sogar gesunken, wie der Datenschutz-Report 2022 zeigt: Wenn die Datenerhebung transparent erfolgt und die erhebenden Unternehmen vertrauenswürdig sind, ist eine Mehrheit mit der Weitergabe ihrer
Daten einverstanden.

Trotzdem ist die neue Rechtslage verbindlich. Die IVW hat sich auf diese Herausforderung eingestellt und gewissermaßen das Tor zum Post-Cookie-Zeitalter aufgestoßen. Wir erfassen die Reichweiten digitaler Werbeträger nun mit dem neuen zensusbasierten INFOnline Measurement base in Kombination mit dem bisherigen pseudonymen Messverfahren.

Dass eine der beiden IVW-Metriken, nämlich der „Visit“, dadurch nun zum Teil  rechnerisch ermittelt wird und kein reines Zähl- bzw. Messergebnis mehr darstellt, ist ein „Paradigmenwechsel“, wie Martin Krieg, Leiter Digitale Medien bei der IVW, konstatiert. Die datenschutzkonforme, consentfreie Methodik gewährleistet, dass wir dem digitalen Werbemarkt weiterhin belastbare, seriös erhobene Leistungswerte zur Verfügung stellen. Es bleibt dabei: IVW-Werte verdienen und erhalten das volle Vertrauen der Marktpartner.

Internetkonzerne haben Datenbestände aufgehäuft, die sie selbst nicht mehr überblicken.
Dr. Kai Kuhlmann
IVW-Geschäftsführer

Die IVW im internationalen Kontext

Eine andere Seite der Vertrauenskrise bildet der unersättliche Datenhunger, den vor allem die großen US-Internetkonzerne an den Tag legen. Sie haben Datenbestände aufgehäuft, die sie weder überblicken noch kontrollieren.

Ein abschreckendes Beispiel liefert Facebook: „Offenbar weiß der Zuckerberg-Konzern in vielen Fällen gar nicht mehr, welche Daten seiner Milliarden von Nutzern er wo  gespeichert hat“, berichtet Jörg Heinrich. Ein interner Bericht des Unternehmens warnt, dass Facebook keine Datenschutz-Policies zusagen könne. Man weiß dort schlicht nicht mehr, „wie unsere Systeme Daten verwenden“. Nicht nur das Vertrauen der Nutzer ist verloren – der Konzern hat aufgehört, sich selbst zu trauen.

Auch in der Außendarstellung wird der US-Internetriese als wenig vertrauenswürdig wahrgenommen. „Facebook kommuniziert so transparent wie ein Waffenhändler“ schrieb Markus Beckedahl, Chefredakteur von Netzpolitik.org, als weite Teile von Zuckerbergs digitalem Imperium im Oktober letzten Jahres von Serverausfällen heimgesucht wurden. Dazu kamen die Enthüllungen der Whistleblowerin Frances Haugen, die belegten, dass entgegen der Selbstdarstellung die Geschäftsentwicklung systematisch über Risiken und Bedenken gestellt wurde. So sieht es aus, wenn Vertrauen restlos „in Anspruch genommen“ wurde.

Wie kann eine Reaktion auf die Vertrauenskrise aussehen? Eine Perspektive bietet die kluge Selbstbeschränkung auf eigene, intelligente, verantwortungsbewusste Datenstrategien. Weniger ist mehr beim Handling von Nutzerdaten, darin sieht Matthias Postel von der Hamburger Agentur iCompetence ein entscheidendes Qualitätskriterium. Große Datenmassen sind für ihn kein Wert an sich, denn „Daten brauchen Ziele, Vorgaben, Strukturen und Definitionen, um nutzbar gemacht zu werden“ .

Datensparsamkeit durch effiziente Data Governance, auch zur Erhaltung von Vertrauen, lautet die Maxime der Zukunft.
Dr. Kai Kuhlman
IVW-Geschäftsführer

Die IVW und das Vertrauen

Kontrollverlust über die eigenen Datenbestände führt zum Vertrauensverlust:
„Wie kann ich Transparenz, Verantwortung und klare Zuständigkeiten gewährleisten, wenn meine Datensammlung ein unkontrolliert großer Haufen Chaos ist?“ Datensparsamkeit durch effiziente Data Governance, auch zur Erhaltung von Vertrauen, lautet die Maxime der Zukunft. „Nach den Jahren des Daten-Überflusses und der inflationären Ansprache über Targeting und Retargeting folgen nun die Zeiten der Datenknappheit“ prognostiziert auch Manuel Panzhirsch vom Affiliate-Netzwerk Belboon. Sein Ratschlag an werbungtreibende Unternehmen: eigene Datenstrategien entwickeln, die auf Kundenzentrierung und Logins als „permanente Datenverhältnisse“ setzen.

Voraussetzung dafür ist natürlich: Vertrauen. „Small is beautiful“ als Motto für kluge
geschäftliche Strategien ist keineswegs neu. Unter diesem Titel veröffentlichte der Wirtschaftswissenschaftler E. F. Schumacher bereits 1973 eine gegen unbegrenztes Wachstum gerichtete Programmatik. „Jedes Tun, das kein selbstbegrenzendes Prinzip anerkennt, ist Teufelszeug“, heißt es darin. Das kann man auch für den Umgang mit Nutzerdaten gelten lassen. Der Ökonom und Degrowth-Vordenker Niko Paech schrieb im Vorwort zur deutschen Ausgabe: „Das Dasein in überschaubaren und damit beherrschbaren Strukturen ist eine Qualität für sich.“  Das klingt ganz ähnlich wie bei Postel.

Vertrauen ist Grundvoraussetzung für das Funktionieren von Märkten und Gesellschaften. Die IVW darf sich auf diesem Gebiet durchaus Expertise zuschreiben. Seit 1949 liefern wir den Akteuren des medialen Werbemarkts eine Vertrauens- und damit eine Geschäftsgrundlage. Simon Redlich, Präsident der IFABC als globaler Dachorganisation der nationalen Prüf- und Kontrolleinrichtungen, spricht in seinem Gastbeitrag von „trust factories“ und fügt hinzu: „Der Bedarf an Vertrauen bildet den Kern
unserer Arbeit“.

Auch Marktkompetenz sorgt für Verlässlichkeit. Wenn Alexander von Reibnitz bekräftigt, dass Print seinen Platz als Medium und Werbeträger behalten wird, dann beruht die Einschätzung des Geschäftsführers des Industrieverbands der Papierindustrie auf langjähriger Expertise und genauer Kenntnis des Marktes.10 Er rät Verlagen und Druckereien zu langfristiger Vertragsbindung, um den Schwierigkeiten der Papier-Lieferketten zu begegnen, denn Abnehmer mit langfristigen Lieferverträgen werden weitgehend bedient. Anders ausgedrückt: Vertrauen zahlt sich aus, gerade in schwierigen Zeiten.

Deshalb ist es für uns selbstverständlich, unseren Datenbestand auch der Forschung zugänglich zu machen. Politologe Nikolai Berk promoviert an der Berliner Humboldt-Universität zur Bedeutung von Printmedien für die Meinungsbildung im Internet-Zeitalter. Als Datenbasis nutzt er die umfassenden Reichweitendaten der IVW. Mit ihrer Hilfe verknüpft er die lokale Verteilung von Printmedien mit Variablen wie Wahlverhalten und Institutionsvertrauen. Empirische Forschung, die durch den freien Zugang zu Branchendaten möglich wird: Auch diese Form von Transparenz erneuert die gesellschaftliche Ressource Vertrauen.Die IVW wird auch weiterhin ihre Aufgabe
darin sehen, diese Ressource bereitzustellen.

 

Seit 1949 liefert die IVW den Akteuren des medialen Werbemarkts eine Vertrauens- und damit eine Geschäftsgrundlage.
Dr. Kai Kuhlman
IVW-Geschäftsführer

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