Die IVW prüft über tausend digitale Werbeträger und rund dreitausend Top-Level-Domains. Doch welchen Anteil hat sie damit am deutschen digitalen Werbeträgermarkt? Martin Krieg unternimmt den Versuch, die Relevanz der IVW und ihre Bedeutung für die digitale Gesamtnutzung zu bemessen.
Von Martin Krieg
Die Frage nach der Relevanz (vom lat. re-levare i.S. von erneut in die Höhe heben) ist ja immer so eine Sache. Was für den einen im digitalen Werbemarkt bedeutsam ist, ist für andere unwichtig. Bemessen die einen die Relevanz der IVW im Digitalbereich an der:
- Höhe der geprüften Nutzungsdaten im Vergleich zu anderen Größen z.B. zu anderen Ländern, bemisst sich für andere die Relevanz an
- Marktanteilen, also einer Quote: Wie viele Menschen erreichen die Werbeträger, die von der IVW geprüft werden in Deutschland. Wieder andere halten die
- Werbeausgabe für relevant und stellen sich die Frage, wieviel der über 40 Milliarden Euro, die in Deutschland Jahr für Jahr von Werbekunden investiert werden, werden denn von der IVW geprüft.
Um letztgenannten Ansatzpunkt der Relevanz soll es in diesem Blogbeitrag nicht gehen, das ist das Metier des ZAW und wir können anhand unserer Mitglieder nur grob schätzen, wieviel des „Kuchens“ von immerhin rund 1,4 Prozent des deutschen BIP (48 Mrd. Euro Werbeausgaben) auf die (digitalen) Werbeträger, die von der IVW geprüft werden, entfallen.
In diesem Blogbeitrag soll die Aussagekraft der IVW-geprüften Nutzungsdaten für den gesamten digitalen Werbeträgermarkt beleuchtet werden. Also die Frage: Wie relevant / aussagekräftig sind die IVW-ausgewiesenen digitalen Werbeträger gemessen an der Gesamtheit der deutschen Digitalangebote? Und in einem zweiten Versuch: Wie relevant / aussagekräftig sind die IVW-ausgewiesenen digitalen Werbeträger gemessen an der digitalen Gesamtnutzung in Deutschland? Hierfür werden externe Nutzungsdaten aus einer anderen Studie herangezogen, die Nutzungsdauer (Duration) verwendet und den IVW-Nutzungsdaten gemessen in Kontakten (PageImpression und Visit) gegenübergestellt.
Es wird gleich deutlich werden, dass bereits diese beiden simplen Fragen mit einigen Schwierigkeiten verbunden sind und man nur näherungsweise die Relevanz-Thematik erörtern kann. Kritiker rufen bereits jetzt: Duration mit Visit vergleichen ist wie Äpfel mit Birnen. Korrekt, aber so viele brauchbare externe Daten, um etwas Licht ins Dunkel bei der Relevanz-Frage im Digitalbereich zu bringen, gibt es leider nicht, daher lieber dieser „leicht schiefe Vergleich“, als gar keiner und da die IVW in regelmäßigen Abständen damit konfrontiert wird, soll hier zumindest der Versuch unternommen werden, mit externen Daten zu bestimmen, wie relevant die IVW-Digital für den Werbeträgermarkt (noch*) ist.
Zwischen Tradition und Wandel
Nach dieser Vorrede starten wir die #Relevanzanalyse zuerst mit einem Blick auf Print. Die IVW ist historisch gesehen 1949 aus einer Printtradition erwachsen und widmet sich erst seit 1997 digitalen „Auflagen“ (Nutzungsdaten) in Form von PageImpressions und Visits. Daher zuerst der Versuch die Relevanz für den Printbereich zu beantworten – was weitaus einfacher ist:
Im Printbereich ist die Frage nach der Relevanz der IVW gleichwohl einfacher, weil es verlässliche externe Quellen wie etwa das WIP gibt, das Daten zu Titeln liefert oder auch die bis 2012 von Walter J. Schütz durchgeführte Stichtagssammlung, die Auskunft über Publizistische Einheiten (PE) gibt. Zudem können weitere Quellen wie Papierverkaufsstatistiken, Presse Grosso- und Vertriebsstatistiken herangezogen werden, um die von der IVW-geprüften Printwerbeträger hinsichtlich der Relevanzkriterien zu bemessen.
2.121 Titel von Tages- und Wochenzeitungen sowie Publikums-, Fach- und Kundenzeitschriften waren der IVW im Quartal 3/2020 angeschlossen, was eine Abdeckung von 5.648 Anzeigenbelegungseinheiten des deutschen Pressemarkts darstellt.
Die beiden Branchenverbände hierzu: Der BDZV ermittelt für 2019: 327 Tageszeitungen mit 1.452 lokalen Ausgaben und der VDZ ermittelt für 2019: 1.569 Publikumszeitschriften sowie 5.537 Fachzeitschriften (insg. 7.206 Zeitschriften).
Das lässt darauf schließen, dass die „großen Titel“ (Werbeträger) unter den 2.121 der IVW angeschlossenen Printtiteln zu finden sind, die IVW-Auflagendaten also relevante Aussagen zur Verbreitung zulassen.
Der IVW-Slogan „Wissen, was zählt.“ – bei der Frage unserer Relevanz im Digitalbereich ist wie dargestellt aufgrund der Dispersität des digitalen Werbeträgermarkts extrem schwierig und auch wir können hier unsere Relevanz nur näherungswiese schätzen, wissen sie aber nicht exakt.
Zieht man die Anzahl der geprüften Webseiten und Apps der IFABC-Länder mit Auditierung von digitalen Werbeträgern heran, entsteht der Eindruck, dass Deutschland mit 1.066 Angeboten eine recht aussagekräftige Statistik bei den digitalen Werbeträgern aufweisen müsste, weil flächen- und auch bevölkerungsmäßig viel größere Länder weitaus weniger digitale Werbeträger von IFABC-Organisationen auditieren lassen und auch diese sicherlich den Anspruch proklamieren, für ihre Länder relevante Daten zum digitalen Werbeträgermarkt zu liefern.
Fertig! Doch so einfach ist die Sache leider nicht.
Kritiker entgegen sofort: 70 Prozent aller Umsätze im digitalen Werbemarkt entfallen auf GAFA und diese sind nicht in der IVW vertreten. Korrekt.
Aber wir wollten uns ja nicht auf Spendings konzentrieren (schon klar: wo viel Umsatz generiert wird, muss auch viel Nutzung sein), sondern auf die deutsche Werbeträger-Nutzung (gemessen in Kontakten der IVW oder auch in Dauer/Duration z.B. in einer Panel-Erhebung wie bspw. dem GfK Cross Link Panel).
Hierzu ist im September 2020 eine interessante Analyse von Martin Andree und Timo Thomsen angefertigt worden, die bei der Beantwortung der IVW-Relevanz-Frage Anhaltspunkte liefert.
Aktuell „vermisst“ und prüft die IVW mehr als 1.000 digitale Werbeträger und ca. 3.000 Top-Level-Domains von rund 16 Mio. von Andree und Thomsen ermittelten Domains in Deutschland mit der Endung „.de“. Der geneigte Leser wird nun anmerken: 1.500 von 16.000.000? Das ist ja nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Richtig, wobei nur die wenigsten der 16 Mio. Domains in Deutschland Werbeträger sein dürften. Geht man davon aus, dass nur ein Prozent (1 %) der Domains vermarktet sind, sind es allerdings immer noch 160.000 denen 3.000 von der IVW geprüften Domains gegenüberstehen. Geht man in den Promille-Bereich (0,1 %) sind wir bei 16.000 Domains: Irgendwo zwischen 0,1% und 1% dürfte wohl die Anzahl der digitalen Werbeträger-Domains in Deutschland liegen. Geht man davon aus, dass digitale Werbeträger in der selben Quantität wie „klassische“ Massenmedien in Deutschland vorkommen (vgl. eingangs zu Print: < 10.000 Produkte + audiovisuelle Medien und „digital only“-Angebote), ist die Abdeckung von 3.000 Domains durch die IVW schon ganz stattlich.
Hinzu kommt noch, dass es sich beim Traffic im Netz, wie beim Vermögen verhält: wenige Menschen in Deutschland besitzen ein großes Vermögen (10 Prozent also rund 8 Mio. Deutsche besitzen ca. 50 Prozent des deutschen Vermögens).
85,5 Prozent des Traffics werden von den TOP 500 Webseiten erbracht.
Bei 16 Mio. Top-Level-Domains mit .de sind 500 Webseiten gerade einmal 0,003 Prozent. Nochmals zur Erinnerung: Die IVW prüft täglich rund 3.000 Top-Level-Domains, also 0,02 Prozent als 16 Mio. .de-Domains.
Die IVW erfasst vermutlich mehr als die Hälfte des deutschen Traffics
Die IVW weist, wie geschildert, ca. 3.000 Top-Level-Domains aus, aber die TOP 3 Domains sind Plattformen der #GAFA mit .de-Endung. Da YouTube, google.de und facebook.de von der IVW nicht erfasst werden, diese aber ca. 1/3 des deutschen Gesamt-Traffics bestreiten (vgl. Abbildung 2), bildet die IVW mit den geprüften 3.000 Domains vermutlich immer noch rund 50 Prozent des deutschen Gesamt-Traffics ab.
Wem das etwas zu schnell ging, nochmals komprimiert zusammengefasst:
- Die IVW misst, prüft und weist unter den TOP 1-3 Top-Level-Domains mit .de-Endung (die Andree und Thomsen anhand des GfK-Panels ermittelten haben) keinen Traffic aus (vgl. Abb. 1: Traffic-Anteile der TOP 500 Sites & Apps)
- unter den TOP 4-10 ist in der IVW folgende Domain: web.de
- unter den TOP 11-25 misst, prüft und weist die IVW gmx.de und t-online.de aus
Macht nach Adam Ries:
- für die TOP 26 bis > TOP 500 (Rest) Domains: 12,1 + 8,5 + 5,4 + 14,2 Prozent
[in diesen Rängen sind vermutlich sehr viele IVW-Mitgliedsangebote / digitale Werbeträger] - aus den TOP 4-10: für web.de ca. 5 Prozent
- aus den TOP 11-25: für t-online und gmx.de ca. 3 und 2 Prozent des deutschen Gesamt-Traffics
= 55,2 Prozent des deutschen Traffics (gemessen in Nutzungsdauer auf Basis des GfK Cross Link Panel)
* Das „noch“ ist deshalb notwendig, weil die IVW-Nutzungsdaten in den Anfangsjahren 1997-ca. 2005 deutlich relevanter waren, als sie es heute „noch“ sind. Seit dem Aufkommen und der massenhaften Nutzung US-amerikanischer Plattformen in Deutschland ab etwa Mitte der 2000er Jahre (Google, Facebook, Amazon, YouTube … jüngst Instagram, TikTok etc.) schwindet die Relevanz der IVW, weil sich diese Plattformen nicht dem deutschen Standard für Werbeträger, der Messung, Prüfung und Ausweisung durch die IVW unterziehen und so innerhalb der letzten 15 Jahre „Löcher“ in die ursprüngliche Zensusmessung/Vollerhebung/Gesamtbetrachtung der IVW-Digital gerissen haben. Es findet eine Nutzung von Werbeträgern inkl. eines Invest von deutschen Werbe-Spendings (Inventar) statt, welches nicht vom Branchenstandard erfasst wird/werden kann. Die Spielregeln der deutschen JIC-Partner werden verletzt.
Basierend auf: Andree, Martin / Thomsen, Timo (2020): Atlas der digitalen Welt. Frankfurt/M. / New York: Campus. Erscheinungstermin des Buches: 16.09.2020.
Hier geht es zur Rezension von Martin Krieg: „Die Vermessung von Neuland“.