In einer dreiteiligen Serie werden Sarah Birkhäuser und Martin Krieg auf Basis von Branchenmeldungen und Beschreibungen der Organisationen, die diese Projekte betreiben, die W-Fragen (wer, wie, was, wann, warum, …) zu North Star der WFA, Privacy Sandbox von Google und Rearc vom IAB Tech Lab beantworten.
Von Sarah Birkhäuser und Martin Krieg
Cookies: gut oder böse?
Cookies an sich sind nicht schlecht, ganz im Gegenteil. Wer einmal in einem Online-Shop einen Warenkorb gefüllt hat – in Pandemie-Zeiten eine vermutlich täglich praktizierte Übung – wird sich über die „kleinen Krümel“ sehr positiv äußern. Besucher können zum Beispiel wiedererkannt und bestimmte Einstellungen, wie die Sprache der Seite oder Login-Informationen, können gesichert werden.
Web-Analysen, die ebenfalls auf #Cookies basieren, können zu einer besseren Userexperience auf der Website führen, was den Komfort erhöht und damit durchaus im Sinne der Online-Shopper ist. Dies wird von den „guten Cookies“, den sogenannten First Party Cookies, die von der Webseite selbst stammen und von Browsern nicht domainübergreifend zugänglich gemacht werden, ermöglicht.
Demgegenüber stehen die „bösen bzw. in Verruf geratenen Cookies“, die sogenannten Third Party Cookies. Diese Cookies von Dritten (also nicht dem Betreiber der Webseite) markieren User. Wechselt der User nach dem initialen Besuch, bei dem ihm ein Third Party Cookies im Browser gesetzt wurde, auf eine weitere Webseite des Drittanbieters oder eine Seite, auf welcher der Drittanbieter Werbung geschaltet hat, so wird er durch das gesetzte Cookie wiedererkannt. Das Verhalten des Users (z.B. das Navigieren von URL zu URL und das Aufrufen von Seiten inkl. der Häufigkeit mit der der Nutzer dies tut) wird verfolgt und es können bspw. Interessens- und Nutzerprofile erstellt werden. Werbetreibende verwenden Third Party Cookies, um auf den User gemünzte Werbebanner auszuspielen, die mit höherer Wahrscheinlichkeit relevant sind und bspw. eine Conversion (i.S. eines Call-to-Action z.B. eines Kaufs) erzeugen. Auch die IVW verwendet derzeit noch mit dem Messsystem INFOnline Measurement pseudonymous (ehemals SZMnG) ein cookie-basiertes Instrument, weil bspw. die clientbasierten Informationen des Cookies für die Bildung des Visits – vor allem des site-übergreifenden Visits bei Multi-Angeboten i.S. der IVW-Richtlinien – benötigt wird. Aber auch die IVW stellt zusammen mit dem Messdienstleister der IVW-Mitglieder INFOnline im Jahr 2021 auf ein cookie-loses Messsystem um: INFOnline Measurement anonymous, welches dann einwilligungsfrei (es wird mit dem neuen Messsystem kein Consent für das Setzen des Cookies / TCF2.0 benötigt) und damit datenschutzkonform misst (gemäß ePrivacy; vorbehaltlich den Entwicklungen beim TTDSG; Stand: 22.02.2021). Dieses neue anonyme Messsystem soll auch resistent für die im Folgenden beschriebenen Einschränkungen der Browserhersteller sein.
Warum es neuer Standards für Werbetreibende bedarf
Der Einsatz von Cookies bei digitalen Werbeträgern hat sich über die Zeit (die ersten Cookies gab es seit 1994) zu einem teilweise inflationären Gebrauch gesteigert (in einer Studie unter den TOP 100 Webseiten wurden über 5.000 Cookies gefunden), der zu Intransparenz und Verärgerung beim User geführt hat. Der Gesetzgeber hat deshalb den Gebrauch von Cookies stark reglementiert (BGH-Urteil vom 28.05.2020 zum Einsatz von Cookies) und es ist mittlerweile erforderlich, dass der Nutzer dem Setzen von Cookies aktiv zustimmen muss. Die allgegenwärtigen Cookie-Banner, die einer Umfrage zufolge 67 % der User auf die Nerven gehen, sind die Folge dieser Entwicklung.
Die Browser Firefox von Mozilla und Safari von Apple blockieren bereits standardmäßig die „bösen“ Third Party Cookies. Apple löscht zudem alle First Party Cookies bereits nach 24 Stunden (üblich sind 7 Tage; auf mobilen Endgeräten wird noch 2021 die Verwendung der IDFA unterbunden). Auch Tricks der Drittanbieter, ihre Cookies als First Party Cookies zu tarnen, und so trotz Blockade an Userdaten zu gelangen, verhindert Apple mit seiner „Intelligent Tracking Prevention“.
Dies alles verändert grundlegend die Art und Weise, wie Werbung und Content zukünftig ausgespielt, gemessen und nachverfolgt werden kann. Als Folge des Verschwindens von Third Party Cookies gilt es nun, alternative Ansätze zu finden, wie und wo sich hinsichtlich bestimmter Merkmale qualifizierte Nutzer auch in Zukunft noch erreichen und messen lassen. Aus Sicht des Audience Measurement, welches die IVW mit der Ergebung von PageImpressions und Visits betreibt, aber auch der Werbetreibenden muss zwingend eine Standardisierung erfolgen. Ein inflationärer Einsatz an neuen Messlösungen, Ad-Identifiern und ein unübersichtlicher Dschungel von Ad-Tech- und #Measurement-Anbietern sollte unbedingt vermieden werden. Eine weiter zunehmende Konzentration bei einem oder wenigen Marktteilnehmern (z.B. den #GAFA) ist auch keine Alternative. Dennoch startet Google mit dem Projekt Privacy Sandbox gerade diesen Versuch (den wir im zweiten Teil unserer Serie vorstellen werden). Vermutlich gibt es keine 1:1-Alternative zum Third Party Cookie. Es müssen zusätzlich neue Lösungen für nicht adressierbare Nutzer gefunden werden, beispielsweise durch die Weiterentwicklung des Contextual Targetings (Umfeld). Einige aktuelle Initiativen, die wir im Folgenden darstellen und bei denen der Browser im Mittelpunkt steht, werden bspw. von der OWM sehr kritisch gesehen, da diese Initiativen zu einseitig von Markteilnehmern (GAFA) getrieben sind.
Drei Antworten auf die Abschaffung der Third Party Cookies
Dem entgegenzuwirken, also trotzdem weiter Daten sammeln zu können, haben sich in den letzten Monaten zwei weitere Initiativen (neben Googles Privacy Sandbox) herausgebildete (North Star von der WFA & Rearc / PRAM vom IAB Tech Lab), die wir in unserer dreiteiligen Serie hinsichtlich bestimmter Fragestellungen analysiert haben.
Als Basis wurden Branchenmeldungen und Beschreibungen der Organisationen (Stand 22.12.2020) herangezogen und hinsichtlich der folgenden Fragen systematisch zusammengestellt.
- Was ist das?
- Wer steckt dahinter?
- Wer sind die Kooperationspartner?
- Was ist das Ziel?
- Was wird gemacht?
- Was meint die Branche?
- Wie ist der aktuelle Stand?
- Wie könnte es sich auf den deutschen Werbemarkt auswirken?
- Was bedeutet es für Deutschland (JICs)?
- Was bedeutet es für Europa?
- Wie kann die IVW sich positionieren?
- Wie verändern sich ggf. Messung, Prüfung und Reichweiten?
- Wer hat die „Datenhoheit“?
Den Auftakt unserer dreiteiligen Serie bildet das Projekt North Star der WFA.
Im Sinne einer besseren Lesbarkeit verwenden wir den Begriff „Projekt“. Damit sind alle drei Initiativen, Lösungen, Maßnahmen oder Konsortien gemeint, die sich selbst zum Teil individuell definieren.
Wer steckt dahinter?
Die World Federation of Advertisers, beziehungsweise das Global Media Board der WFA.
Was ist das?
Ein globaler Messstandard für Bewegtbildwerbung oder genauer: ein medienübergreifendes Messsystem von Werbeträgern für Reichweite und Frequenz – lineare und digitale Kanäle umfassend. Der kollaborative Ansatz soll die Lösung für die Cross-Media-Messproblematik werden und ist eher verbraucherorientiert als medienzentriert. Die WFA bezeichnet das werbefinanzierte Framework als den „heiligen Gral“ für Vermarkter.
Wer sind die Kooperationspartner?
„Jeder, der in der globalen Mediawelt Rang und Namen hat“ oder auch eine „fast maximal mächtige Allianz“ (Scharrer). Denn zu den Partnern gehören neben wichtigen Werbungtreibenden des Global Media Boards der WFA auch die Werbeverbände der USA (ANA), Großbritanniens (ISBA), Frankreichs (Union de Marques) und Deutschlands (OWM). Außerdem die Tech-Konzerne Google und Facebook und Advertiser wie die Deutsche Telekom, Nestlé, Procter & Gamble, Coca-Cola, Unilever, Pepsi, Mastercard, Mars und EA. Hinzu kommen Vertreter aller großen Werbe-Holdinggruppen sowie das Media Rating Council (MRC).
Was ist das Ziel?
Transparenz, Neutralität und Prüfung – Der technische Vorschlag für die Cross-Media-Messung soll die Grundsätze der allgemeingültigen Standards für alle Parteien erfüllen. „Das Ziel ist eine vollständige, offene, transparente und zukunftssichere medienübergreifende Messung“ so das Unternehmen P&G. Es geht um einen weltweit einheitlichen Ansatz ohne für jeden Markt eine eigene Lösung finden zu müssen, so die WFA. Auch Unilever spricht sich dafür aus eine echte Transparenz der Medienleistung zu erreichen, indem Reichweiten und Wirkung über alle Plattformen und Bildschirme hinweg in einer datenschutzgerechten Art und Weise bewertet werden. Denn künftig sollen die Leistungswerte in allen Ländern, in denen das System eingeführt wird, miteinander vergleichbar sein. Werbetreibenden soll so ein besseres Verständnis für die Reichweite und Häufigkeit ihrer Werbemaßnahmen vermittelt werden. Zudem soll sichergestellt werden, dass Verbraucher nicht zu oft mit ein und derselben Werbung bombardiert werden (Frequency Capping – die Hauptsorge aller, in der Post-Cookie-Ära), unabhängig davon, über welche Kanäle und Devices sie Inhalte konsumieren.
Was wird gemacht?
North Star ist ein Leitfaden, der mehrere grundlegende Prinzipien des künftigen Vorgehens erfasst. Ein Punkt ist zum Beispiel, dass es konsistente Definitionen und Metriken geben soll, um gleichartige Vergleiche zwischen Medien zu
ermöglichen. Eine Lösung kann laut WFA darin bestehen, eine einzige Definition oder mehrere Definitionen aufzusetzen, aber es müsse ein Mittel zum Vergleich geben. Google setzt auf eine Virtual-ID (VID), die unter anderem das Problem von Doppelzählungen von Ad-Impressions beenden soll – eine Voraussetzung für ein besseres Verständnis von Werbereichweiten (Scharrer). Mittels Frequenzsteuerung soll sichergestellt werden, dass Verbrauchern nicht mehrfach ein und dieselbe Anzeige auf verschiedenen Medienkanälen ausgespielt wird, um damit auch das Blockieren von Anzeigen einzudämmen. Fast noch wichtiger ist aber das Versprechen von
Google, dass das Modell komplett datenschutzkonform ist, um die Privatsphäre der Verbraucher zu schützen (Scharrer). Alle dafür erforderlichen Technologien sollen Open-Source-basiert sein. Explizit liegt der Schwerpunkt auf dem Vergleich von Werbung und Inhalten in TV und digitalen (Video-)Formaten. Auch die in den Ländern hier bereits geleistete Arbeit soll dabei berücksichtigt werden. Im Mittelpunkt von allem müssten jedenfalls die Werbungtreibenden stehen, heißt es von der WFA: „Wir glauben, dass die meisten Fortschritte erzielt haben und ein Konsens erreicht werden kann, wenn sich die Branche auf die Bedürfnisse der Anzeigenkunden einstellt.“
Was meint die Branche?
Die OWM hat sich in den vergangenen Monaten mehrfach über die Zustände im deutschen Bewegtbild-Markt beschwert. Nach wie vor fehle es an übergreifenden Standards für Messung, Planung und Analyse von linearen und nonlinearen Angeboten, Google und Facebook müssten endlich mit ihrer „Hinhaltetaktik“ aufhören und sich integrieren. Google wiederum klagte: „Wir fragen uns, wie sich die #OWM eine Beteiligung von globalen Playern an der Definition von lokalen Standards vorstellt.“ Einig hingegen sind sich die Beteiligten darüber, dass die Cross-Media-Messung trotz einheitlicher global umgesetzter Komponenten lokal erfolgen und auch streng überwacht werden muss, um Konsistenz und Skalierbarkeit zu gewährleisten: „Medienübergreifende Messungen sind ein globales Thema, das lokal beantwortet werden muss, da jede Region unterschiedliche Ausgangspositionen und Anforderungen hat“, so die Deutsche Telekom. Die Mediengruppe RTL äußert sich: „Es muss sich zeigen, ob verlässliche und praktikable Reichweiten entstehen, wenn man eine Vielzahl unterschiedlicher First-Party-Daten unter Einhaltung aller Datenschutzregularien verarbeitet. Eine Währung kann nur dann entstehen, wenn alle Medien den Ergebnissen vertrauen.“ Aber braucht man wirklich die eine, große Bewegbild-Währung? Braucht man für eine effiziente Mediaplanung eine Konvergenz-Währung, die in allen Ländern die Leistungswerte von Bewegtbildinhalten geräteübergreifend miteinander vergleichbar macht? Oder kriegen das die Mediaagenturen mit ihren ganzen Tools und Attributionsmodellen nicht auch irgendwie hin? Was die Werbeindustrie ganz sicher braucht, ist mehr Transparenz. Dass das bisher nicht geklappt hat, liegt nicht nur, aber vor allem an der Walled-Gardens-Politik der US-Plattformen. Sollte es die WFA jetzt tatsächlich schaffen, Google und Facebook zu mehr Transparenz zu verpflichtet, hätte sich der ganze Aufwand am Ende doch noch gelohnt (Scharrer).
Wie könnte es sich auf den deutschen Werbemarkt auswirken?
Falls der Plan der WFA aufgeht, werden lokale Lösungen bald überflüssig sein. Doch was einfach klingt, ist in der Praxis umso komplizierter. Zumindest in Deutschland. Denn erst im Juni 2020 wurde das jahrelange Gemeinschaftsprojekt der AGF Videoforschung mit Google zu genau diesem Thema für gescheitert erklärt. Nach fünf Jahren eines vergleichbaren Projekts in Deutschland muss man sich jetzt erneut gedulden: „Das Thema ist einfach sehr komplex. Wenn wir etwas wirklich Belastbares auf die Beine stellen wollen, dauert das eben“, so Joachim Schütz von der OWM. Ein entscheidender Punkt des WFA-Ansatzes besteht laut Schütz außerdem darin, dass die Umsetzung des Modells den einzelnen Märkten obliegt: „Wir werden in Deutschland nichts einführen, was wir davor nicht sehr genau geprüft haben. Mit der AGF haben wir ja eine Organisation, die über eins ehr großes Know-how bei Measurement-Systemen verfügt.“ Die OMG hat in Abstimmung mit der OWM gegenüber der WFA erklärt, dass sie den Vorschlag der WFA in technischer und methodischer Hinsicht grundsätzlich unterstützt. Allerdings wird gefordert, dass folgende Rahmenbedingungen berücksichtigt werden müssen:
- Regionale und lokale Anpassungsmöglichkeiten, um spezifische Unterschiede in den Märkten abbilden zu können,
- ein operativer Betrieb unabhängig von einem Marktteilnehmer, seien es Plattformen, Medien und Kunden/Agenturen,
- Transparenz zu Erhebungsmethoden und Bewertungsstandards sowie
- die Messung auf der Basis eines offenen Marktstandards.
Sollten diese Punkte keine Berücksichtigung finden, besteht die Gefahr, dass die Geschäftsmodelle der Mediaagenturen sowie die Vermarktungsmodelle der Medienanbietern ausgehebelt werden oder das werbungtreibende Unternehmen in eine langfristige Abhängigkeit von Google und Facebook geraten und ein großer Teil der gesamten Medien-Wertschöpfungskette auf Google verlagert wird, wobei die Kunden schließlich direkt angesprochen und vermittelnde Zwischenhändler ausgebremst werden. Denn die Preisbildung für Werbezeiten findet nun nicht mehr am Markt zwischen Werbekunden, Agenturen und den Vermarktern der Publisher statt, sondern wird ins Google Browser System verlagert, so dass die Vermarkter ihre Preishoheit für das ins System eingestellte Inventar verlieren.
Was bedeutet es für Deutschland (JICs)?
Statt sich in jedem einzelnen Markt neu und anders orientieren zu müssen, träumen die global agierenden Werbungtreibenden von einer Welt, in der mehr oder weniger in allen Märkten die gleichen Regeln gelten. Das ist nachvollziehbar und gut für die so wichtigen Skaleneffekte, aber natürlich stellt sich bei einer solchen Herangehensweise sofort das Problem des international kleinsten gemeinsamen Nenners. Und das betrifft in diesem Fall besonders Deutschland. Man hält hierzulande viel auf seine Joint Industry Committee (JICs), auf seine Messmethoden und Konventionen. Drohen diese hohen Qualitätsstandards nun geschliffen zu werden (Scharrer)? Laut OWM wird nicht alles gleichgeschaltet (vgl. GRP-Standardmaß aus der Mediaplanung). Die konkrete Umsetzung sei Sache der einzelnen Märkte und nationale Besonderheiten seien zu berücksichtigen. Darauf legen vor allem die Deutschen in der WFA großen Wert. Eine zentrale Rolle spielt dabei die AGF Videoforschung. Sie hat den Auftrag, das WFA-Framework vor der Einführung im deutschen Markt auf Herz und Nieren zu prüfen. Deshalb werden JICs wie die AGF oder die agma laut OWM sogar noch wichtiger: „Wir denken nicht im Traum daran, unser bewährtes System zur Disposition zu stellen. (…) Keiner bestreitet, dass wir hier einen Reformbedarf haben und mehr Effizienz im System brauchen. Aber im Grundsatz erfüllen die JICs eine eminent wichtige Rolle. Der deutsche Markt lebt von jeher davon, dass sich Publisher, Agenturen und Werbungtreibende auf gemeinsame Konventionen einigen (…).“ Hier seien vor allem die TV-Vermarkter gefordert, ihrerseits Kompromissbereitschaft zu zeigen. Alle müssen sich bewegen, nicht nur Google und Facebook. Maßgeblich für die OWM seien die Belange der Unternehmen im deutschen Markt. Deshalb könne ein „globaler Ansatz niemals die lokale Lösung ersetzen“. Vielmehr müsse er mit den Standards der JICs kompatibel sein.
Was bedeutet es für Europa?
Anders als in Deutschland, wo sich die US-amerikanischen Digitalplattformen kaum für die Zusammenarbeit mit JICs interessieren, nehmen Google und Facebook bei der WFA-Initiative eine zentrale Rolle ein. Die vorgelegten technischen Lösungen des WFA-Ansatzes wurden fast ausschließlich von Google, unterstützt durch Facebook, eingebracht und unterliegen globalen Patenten seitens Googles. Ein verbindlicher Prozess, der die Berücksichtigung der Interessen aller Marktteilnehmer sowohl auf regionaler wie europäischer Ebene festlegt, steht laut OMG nur in Ansätzen zur Verfügung. Norman Wagner von der OWM betont, dass die Werbungtreibenden bei dem Thema Cross-Media-Measurement an einem Strang ziehen: „Ich finde es bemerkenswert, dass es inzwischen auch bei den Kollegen aus den USA eine große Offenheit für die europäische Sicht gibt – und die ist bekanntlich deutlich kritischer, wenn es um die Rolle der großen US-Plattformen geht.“
Wie ist der aktuelle Stand?
In Pilotprojekten soll das nun offiziell verabschiedete Framework getestet werden (Scharrer). Die Verbände der Werbetreibenden in Großbritannien und den USA sollen prüfen, welche Anpassungen auf lokaler Ebene nötig sind. Sie leiten die Implementierung. Dabei wird ein besonderes Augenmerk daraufgelegt, wie jeweils die TV-Daten und digitalen Daten integriert werden sollen „Mit ersten Ergebnissen aus den Testmärkten rechnen wir bereits im nächsten Jahr [2021]. Aber für einen weltweit etablierten Standard brauchen wir tatsächlich noch ein paar Jahre. Daher wäre es auch völlig falsch, jetzt schon einem großen Durchbruch zu sprechen. Wir sind auf einem sehr guten Weg, stehen aber noch ziemlich am Anfang“, so die Deutsche Telekom. Und auch die OWM ist sich sicher, „es wird mindestens noch drei oder vier Jahre dauern. Der Appell der WFA an die Märkte lautet: Fangt schon mal an und schaut, wie ihr das lokal umsetzen könnt. Um das Modell weiter zu entwicklen, brauchen wir konkrete Learnings aus den einzelnen Märkten. Daher werden wir sicher auch in Deutschland bald in eine Testphase gehen.“
Wer hat die „Datenhoheit“?
Das Konzept (wie auch bei Sandbox) entsteht derzeit maßgeblich unter Googles Ägide, so die OMG: „Google wird zum digitalen Gatekeeper, zu einer global skalierenden, programmatischen Buchungs-Plattform.“ Daher ist es nicht nur technisch hochkomplex, sondern auch politisch heikel. Die Gefahr: „Google allmächtig“ (Scharrer). Die OMG kritisiert, dass alle Unternehmen und Agenturen so langfristig in eine völlige Abhängigkeit von der Buchungs- und Messlogik von Google geraten würden. Vor allem, weil im Executive Board der WFA auch ein OWM-Vertreter sitzt, fragt man sich, wie es sein kann, dass die Lösung mit Google als Hauptrolle grünes Licht bekommt. Warum Google? Die Antwort: Weil Google es kann! Tatsächlich ist das ein Punkt, den auch hartnäckige Kritiker der machtbewussten US-Plattformen einräumen müssen: Wenn jemand über die technischen Kompetenzen und Ressourcen verfügt, ein so komplexes Projekt wie eine geräteübergreifende Media-Messung auf die Beine zu stellen, dann Google (Scharrer). Kaum jemand investiert so viel Geld in die digitale bzw. datengetriebene Forschung und verfügt über ein so großes technologisches Know-how wie Google. Es wäre übertrieben, zu sagen: „weil wir die Sorge haben, die Gafas könnten das Internet noch stärker als bisher dominieren, arbeiten wir nicht mehr mit ihnen zusammen“, so die OWM. Die OWM stellt außerdem klar: Ohne Transparenz keine Akzeptanz. Auf die Gefahr einer Vermachtung in der Werbeindustrie glaubt die WFA eine Antwort gefunden zu haben. Das Zauberwort lautet: Open Source. Werbungtreibenden würden keine Blackboxes-Tricksereien akzeptieren und fordern von Google Transparenz und die Bereitschaft, sich von unabhängigen Dienstleistern auditieren zu lassen. Wenn man über Transparenz und Open Source spricht, fallen einem nicht als erstes die großen US-Plattformen ein. Doch laut Wagner von der OWM halten sich Google und Facebook bisher an Ihre Vorgaben und alles läuft weitgehend transparent: „Wir wollen eine Lösung, die komplett transparent und unabhängig ist. (…) Keiner will ein Ecosystem, das man nicht kontrollieren kann und in der Hand der GAFAs ist. Sollte es irgendwelche Tendenzen in diese Richtung geben, schrillen die Alarmglocken.“ Und auch Schütz (OWM) stellt klar: „Es kann nicht sein, dass einzelne Player die Spielregeln bestimmen oder die Hoheit über ein System erlangen, das von allen Marktpartnern genutzt werden soll.“
Wie verändern sich ggf. Messung, Prüfung und Reichweiten?
Regulatorische Maßnahmen der Gesetzgeber, sowie der Browser treiben den Markt hin zur „Cookielosen Werbewelt“. Dies verändert grundlegend die Art und Weise, wie Werbung und Content ausgesteuert, gemessen und nachverfolgt werden kann. Das Ende der Third Party Cookies ist ein starker Evolutionsschritt für das Ökosystem – aber keine Revolution. First Party Daten werden zur Grundvoraussetzung in der Mediaplanung. Sie werden zur Basis für effiziente Zusammenarbeit. Um ein wettbewerbsfähiges Ökosystem erhalten zu können, braucht es laut OWM marktweite Standards für Messung und Attribution, den Austausch von Daten, sowie das Matching zwischen Publisher und Advertiser. Die OMG geht aktuell davon aus, dass Google – und nachrangig auch Facebook – planen, ihre Dominanz von anderen Märkten auf den gesamten Video-Werbemarkt auszurollen, indem sie ein marktübergreifendes Messsystem entwickeln und den Kunden direkt anbieten (vgl. Sandbox). Die Konsequenz wäre nicht nur, dass das bestehende deutsche marktneutrale Messsystem ersetzt würde, sondern durch die Erweiterung der Dienstleistungen der Werbemarkt in eine weitere Abhängigkeitsstufe geraten würde. P&G fasst zusammen: „Wir brauchen eine vollständige, offene, transparente und zukunftssichere medienübergreifende Messung, um den Verbrauchern ein besseres Fernseherlebnis mit weniger lästigen Wiederholungen zu ermöglichen, den Werbetreibenden die Gewissheit zu geben, dass ihre Mediabudgets effektiv und effizient investiert werden, und Medienunternehmen dafür zu belohnen, dass sie ein hohes Maß an Reichweite und Engagement liefern.“ Laut Unilever ist das Projekt „ein entscheidender Schritt hin zu einer verantwortungsvolleren, transparenteren und genaueren Medienmessung für alle Beteiligten.“
Wie kann die IVW sich positionieren?
Den Beteiligten ist klar, dass sich jetzt alle Seiten bewegen müssen – nicht nur Google und Facebook, sondern auch die deutschen Vermarkter. Sollte sich das WFA-Projekt durchsetzen, müsste die IVW ihre Rolle bei der Prüfung der digitalen Nutzungsdaten wahrscheinlich grundsätzlich überdenken.
Denn der Ursprung der IVW liegt im Bereich des „Audit“ und der Ansatz entstammt dem 1914 in den USA gegründeten Audit Bureau of Circulation (ABC): eine buchhalterische Prüfung der „harten“ Auflage von Printerzeugnissen. Bei der Gründung der IVW im Jahr 1949 wurde dieser Ansatz für den deutschen Werbeträgermarkt adaptiert. Mit dem Aufkommen digitaler Werbeträger Mitte der 1990er Jahre erweiterte die IVW ihre Prüfmethoden und konzipierte einen neuen Prüfansatz: neben einer technischen Messung der Nutzung prüft die IVW in diesem Ansatz die korrekte Ermittlung dieser (technisch gemessenen) Nutzungsdaten; ebenfalls ein Audit-Verfahren. Sollte das North-Star-Projekt als Messstandard für geräteübergreifende Bewegtbildwerbung kommen, müsste die IVW die bekannten Pfade der Prüfung / Auditierung verlassen und – im Text ist es schon angeklungen – sich mit Rating (ähnlich dem US-amerikanischen Media Rating Council MRC), also der Zertifizierung von Tools zur Ermittlung einer solchen Reichweite befassen. Eine Prüfung technisch gemessener Nutzungsdaten im Rahmen einer Vollerhebung der deutschen digitalen Werbeträger sieht der WFA-Ansatz nicht vor und auch eine Organisation wie die IVW ist in diesem Ansatz nicht inkludiert. Die IVW müsste sich ggf. als Media Rating Council (MRC) positionieren und die für das WFA-Projekt erforderlichen Reichweiten-Ermittlungstools zertifizieren.
Die Versuche in Deutschland, GAFAs in die JICs zu integrieren, müssen als gescheitert betrachtet werden. Aber der WFA-Vorschlag erlaubt eventuell die sinnvolle Verknüpfung eines einheitlichen internationalen Ansatzes mit vorhandenen nationalen Lösungen. Denkbar beim WFA-Projekt ist, dass die AGF die Werbeträger Fernsehen/TV, Online-Video und Display besetzt. Die Chance für die IVW läge dann darin begründet, dass im WFA-Ansatz Auditing ein zentrales Element ist, weil dort Eigenmessung der Publisher Teil des Modells ist.
Auch wenn bereits zum jetzigen Zeitpunkt andere Organisationen (JICs wie Verbände gleichermaßen oder gemeinsam) sich im Bereich Zertifizierung versuchen zu profilieren, wäre die IVW durch Ihre Stakeholder: Kunden, Agenturen und auf der Werbeträger-Seite im Digitalbereich alle Mediengattungen (Fernsehen/TV, Radio, Online, Zeitungen, Zeitschriften, Fachpresse, Verzeichnismedien und Content Marketing) „an einem Tisch“, prädestiniert diese Zertifizierungsleistung für die Reichweitenermittlung und weitere Bereiche im digitalen Werbeträgermarkt zu erbringen.
Diese Zusammenfassung basiert größtenteils auf Branchenmeldungen, aktuellen Artikeln und Beschreibungen der Organisationen, die diese Projekte betreiben. Da die zusammengetragenen Passagen teilweise kopiert wurden, haben wir die Quellen im Text verlinkt.
Quellen, die nicht im Text verlinkt werden konnten:
- Scharrer, J. (2020): Jetzt plötzlich doch! Oder doch nicht? Konvergente Bewegtbildmessung: Der internationale Kundenverband WFA präsentiert einen neuen Ansatz. Google und Facebook sollen es richten. In: Horizont, 40-41/2020, S. 24
Ab dem 03.03.2021 können Sie im zweiten Teil der Serie lesen, was es mit dem Projekt Privacy Sandbox von Google auf sich hat.