Wer leitet IVW Digital?

Martin Krieg leitet seit Januar 2019 in der IVW-Geschäftsstelle den Bereich zur Erhebung und Ausweisung geprüfter Kennziffern zur Werbeträgerleistung der digitalen Medienangebote.

Von Martin Krieg
erstmals veröffentlicht im IVW-Geschäftsbericht 2018/19

Ein „Digital Immigrant“

Der älteste Geburtsjahrgang von Digital Natives – also all derer, welche von klein auf mit der neuen Technik des digitalen Zeitalters aufgewachsen sind – wird von Forschern auf mein Geburtsjahr (1980) datiert. Trotzdem bin ich kein Digital Native, sondern ein Digital Immigrant. Kein Early-Adopter-Elternhaus in Sachen Technik, aber gut mit klassischen Medien ausgestattet: eine lokale und überregionale Tageszeitung, Magazine und  Fernsehen mit anfänglich drei, später einer Vielzahl an Sendern – eine normale Medien-Kindheit im ausgehenden letzten Jahrtausend. Mitte der 1990er Jahre stand bei uns zuhause dann ein Personal Computer deutschen Fabrikats mit einem 3,5 Zoll-Diskettenlaufwerk, das genauso merkwürdige Geräusche von sich gab, wie einige PC-Modelle später das Modem, welches via Netscape Navigator die erste Verbindung ins World Wide Web herstellte. Zu dem Zeitpunkt, als für mich die digitale Technik nützliche Hausaufgabenunterstützung und pixelig-spielerische Freizeitbeschäftigung  darstellte, waren andere – wie unser diesjähriger Gastautor im IVW-Geschäftsbericht – bereits damit beschäftigt, verbindliche Standards für die Nutzung von Online-Inhalten auf diesen technischen Geräten zu definieren, die heute noch Gültigkeit besitzen.

Christian Bachem, Mainzer Publizist wie ich, dürfte ebenfalls bereits während seines Studiums an der Johannes Gutenberg-Universität mit der IVW – zumindest mit deren  Daten – in Kontakt gekommen sein, denn  die Mainzer Schule ist für ihre empirisch-sozialwissenschaftliche Studienausrichtung bekannt: Methodenkurse, die sich mit der Erhebung und Weiterverarbeitung von  Messdaten beschäftigten, standen auf dem Curriculum der Noelle-Neumann-Schüler und in der Bibliothek lagerten neben den Ausgaben zahlreicher deutscher Printtitel auch die Berichtsbände der IVW. Ein Fundus für wissenschaftliche Arbeiten – und so war der ursprüngliche Berufswunsch, Journalist zu werden oder zumindest „etwas mit Medien“ machen zu wollen, bald verworfen.

Lehrbeauftragte wie Hans Georg Stolz in seiner damaligen Funktion als agma-Vorsitzender zeigten, welche spannenden Betätigungsfelder es mediennah, mit  einem Anspruch an analytisch-gestaltendes Arbeiten gibt und wo zukünftig die Herausforderungen im Medienmarkt und bei der Reichweitenmessung, z. B. bei einem weiteren JIC (joint industry committee), der damals noch jungen agof, liegen werden. Nach den ersten beruflichen Sporen in der Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen und an der Uni Trier, wo ich eine der ersten Rezeptionsstudien von Tageszeitungs-Apps und -MEWs auf mobilen Endgeräten mittels Eye-Tracking durchführte, war klar, dass der „Elfenbeinturm“ eine zu kleine Grundfläche aufweist und die praktische Seite der Markt-Media-Forschung mit ihrem explorativen Aspekt mehr Gestaltungsraum bietet.

Die IVW als Dauerbegleiter im beruflichen Alltag

Der Einstieg bei der Bertelsmann-Tochter rtv im Digitalbereich und damit gleich die ganze Bandbreite an Plattformen zu betreuen, war zu dem Zeitpunkt, als die ganze Branche von „mobile first“ besessen war, ein aufregendes Betätigungsfeld: Websites, Apps, MEWs, Social Media-Kanäle und Connected-TV-Anwendungen.

Hier wurde ganz schnell deutlich, dass die aus Studientagen bekannte IVW plötzlich eine ganz andere Tragweite entwickelt: Aus dem originären Datenlieferanten wurde ein Instrument, dass meine Zielvereinbarungen diktierte und am Jahresende über den Erhalt der ausgehandelten Gratifikation entschied, falls auf den Tablet-Apps die festgesetzten Visits erreicht wurden. Das monatliche Zittern vor der Veröffentlichung der IVW-Digitalzahlen eingeschlossen.

Spätestens als Projektleiter für die Einführung eines Webanalyse-Tools bei ZDF Digital wurden die Richtlinien und Themen der  IVW und der Messung durch die INFOnline  „Dauerbegleiter“ meines beruflichen Alltags: nutzerinduzierte Interaktion bei Mediatheken, Autoplay, #Wischen und #Scrollen, Abweichung zwischen der First-Party-Cookie-Messung und dem langjährig etablierten Währungsstandard mit Visits und PageImpressions. Als sich dann die Chance bot, selbst an der Ausgestaltung der Feststellung der Verbreitung von digitalen Werbeträgern mitzuwirken, musste ich nach den akademischen und beruflichen Stationen nicht lange überlegen.

Zeitbasierte Kennziffern als Herausforderung der digitalen Prüfung 

In meinen ersten vier Monaten in der IVW- Geschäftsstelle durfte ich ein vermutlich vier Jahre kontrovers diskutiertes Projekt zum Abschluss bringen: Die Ausweisung IVW-geprüfter täglicher Nutzungszahlen der digitalen Angebote ging Anfang Mai 2019 an den Start. Was aber viel wichtiger für den internen Prüfbetrieb im Digital-Bereich der IVW ist, war die Umstellung auf eine tägliche Prüfroutine. Ein zweistufiges Verfahren, bei dem neben einem automatisierten Prüftool auch das Prüfteam in einer nunmehr täglichen Taktung die Angebote hinsichtlich Auffälligkeiten, Mängeln und auszusprechenden Maßnahmen und Sanktionen (Sperrungen bei der Ausweisung) werktäglich kontrolliert: ein Meilenstein in dem seit über 20 Jahren tradierten Prüfkonstrukt – aber eben nur ein erster Schritt.

Wie Christian Bachem in seinem Beitrag treffend bemerkt: Die 1997 etablierten Kennzahlen haben in ihrem Kern heute noch Bestand, müssen aber ständig nachjustiert und an den Gegebenheiten des digitalen Werbeträgermarktes ausgerichtet werden. Digital lässt sich heute nicht mehr in Pages pressen und auf einen kurzen Stipp-Visit im „Neuland“- Netz, weil sonst die Providerkosten ins Unermessliche steigen, war gestern. Für die immersive always-on-Nutzung auf diversen Endgeräten und Plattformen gelten andere Reichweitenkriterien.

Aufgabe der IVW wird es sein, diese Entwicklungen zu begleiten und den Marktpartnern geeignete – vor allem geprüfte und damit transparente – Kennziffern und Messmethoden zur Verfügung zu stellen. Daher könnten die Herausforderungen der Prüfgemeinschaft im Digitalbereich bei der Entwicklung zeitbasierter Kennziffern – bereits Anfang des Jahrtausends in der IVW diskutiert – liegen und um nur einige wenige weitere Buzzwords zu bemühen: Programmatic, Digital Out-of-Home, Krypto und Virtual Reality sowie Walled Gardens und Login-Plattformen sind Themen, die auch im IVW-Digitalbereich beobachtet, diskutiert und auf Eignung für die Kontroll- und Messmethoden der Prüfgemeinschaft evaluiert werden. Derzeit bestimmen noch wir Digitalen Immigranten die Nutzungs- und Reichweitenermittlung im digitalen Werbeträgermarkt, um den eingangs aufgeworfenen Terminus von Marc Prensky nochmals aufzugreifen. Lassen Sie uns gemeinsam versuchen zu verstehen, wohin Digital sich entwickelt. Nur so können wir auch zukünftig optimale Rahmenbedingungen für die Werbewirtschaft erreichen.

„Digital lässt sich nicht mehr in Pages pressen und auch Stipp-Visiten im Netz waren gestern. Für die immersive always-on-Nutzung gelten andere Reichweitenkriterien.“
Martin Krieg
Leitung Digitale Medien

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