Grün, Gemeinschaft, Gender-Diversity – War das bei der IVW schon immer so?

Dass es sich bei der Überschrift um eine rhetorische Frage handelt, wird spätestens beim dritten „G“ klar. Bei den ersten beiden wundert man sich jedoch über die Wandlungsfähigkeit der IVW. Wie aus dem „Alt-Herrenclub“ der frühen Wirtschaftswunderjahre eine, zwar nicht nach Quote, aber paritätisch besetzte Organisation in der Geschäftsstelle (in den Gremien ist das noch nicht erreicht) wurde? Warum die IVW beinahe „AVW“ geheißen hätte und anstelle von „Gemeinschaft“, „Stelle“ stünde? Ob die Signature Colour der IVW immer schon grün war? Und wie sich das Logo der IVW in den letzten knapp 75 Jahren verändert hat? Ein Blick auf das Briefpapier der Einladungsschreiben zu den jährlich stattfindenden IVW-Verwaltungsratssitzungen – dieses Jahr am 20.05.2022 – gibt über all das Aufschluss. Martin Krieg, Leiter Digital bei der IVW, geht auf Archiv-Recherche.

Blick ins Archiv

Der Blog beschäftigt sich bekanntlich mit Digital Insides und News rund um die IVW-Leistungswerte PageImpression und Visit. Dieser Beitrag ist auf den ersten Blick aus der Kategorie „Digitalfreie Zone“, denn wenn man sich mit der Frage beschäftigt, woher eigentlich das IVW-Zeichen kommt, muss man zunächst viel altes Papier wälzen. Dennoch hat die Recherche Implikationen darauf, wie dieses Zeichen heute im digitalen Zeitalter verwendet wird/werden kann, welchen Transformationsprozess das „IVW-Zeichen“ hinter sich hat und welche Wandlung dem Zeichen und der gesamten IVW eventuell noch bevorsteht. Aber ehe diese Fragen angegangen werden, zuerst der Blick ins Archiv:

Im Vorzimmer des IVW-Geschäftsführers Dr. Kai Kuhlmann standen sie bis vor Kurzem* akribisch und typisch deutsch in Leitz-Ordnern aufgereiht: alle Unterlagen der seit 1950 mindestens jährlich stattfindenden IVW-Verwaltungsratssitzungen bis heute. Von den Sitzungs-Einladungen aus dem Jahr 1949, bis zu den Rückmeldekarten, hin zu Entwürfen bis zu den genehmigten Protokollen alles fein-säuberlich abgeheftet.

* Das heißt bis Mitte April 2022. Dann wurden die Ordner von der Ende Mai 2022  in den Ruhestand gehenden Erika Holtschmidt – seit 2. Januar 1981 bei der IVW – Assistenz der Geschäftsführung und Mitarbeit bei der Erhebung der Quartalsauflagen, ins IVW-Archiv gegeben.

Ein Fundus für das sich wandelnde Erscheinungsbild der IVW, aber auch für deren Selbstverständnis als Auditierungs-Institution für den deutschen Werbeträgermarkt.

Die erste offizielle Quelle für die Existenz der IVW findet sich in einer Ausgabe der „Mitteilungen des Markenverbandes“ vom Dezember 1949. Hierin heißt es: „Am 9. Dezember 1949 wurde im Rahmen des Zentralausschusses der Werbewirtschaft die ‚Informationsstelle zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern‘ (IVW) gegründet. Dieser Tag wird bemerkenswert bleiben. Lang gehegte Wünsche der werbungtreibenden Wirtschaft sind in Erfüllung gegangen. […]“

Doch im Archiv der IVW liegen natürlich auch die Vorbereitungen für diesen bemerkenswerten Tag (glücklicherweise wurde es ein 9. Dezember und kein 9. November – diesem Schicksalstag der Deutschen): Protokolle aus Ausschutzsitzungen in denen die IVW-Satzung entworfen wurde.

Bemerkenswert ist der Name. Zuerst sollte die IVW

„Auskunftsstelle über die Verbreitung von Werbeträgern“ 

heißen, entsprechend das Akronym AVW anstelle von IVW tragen.

Man sieht die Korrektur in einem Satzungsentwurf vom 04.11.1949 in Wiesbaden, wo aus dem A ein I bzw. aus der Auskunfts- eine Informationsstelle und später eine Informationsgemeinschaft wurde. Darüber, warum aus der „Stelle“ eine „Gemeinschaft“ gemacht wurde lässt sich heute nur noch spekulieren: Vermutlich wollte man der neu gegründeten Organisation nicht den Anstrich einer weiteren „Behörde“ = Stelle verpassen, was nur zu gut in das von vielen Historikern regressive, ja bleierne Nachkriegsjahrzehnt gepasst hätte. Vermutlich wollte man aber auch mit dem „Gemeinschafts“-Begriff zum Ausdruck bringen, dass nicht eine anonyme „Stelle“ eine Anordnung trifft, die umzusetzen ist (die leidlichen Erfahrungen der 12-jährigen Diktatur der Nationalsozialisten spielen hier sicher auch eine entscheidende Rolle), sondern wollte ganz im Geist der neuen Staatsform „Demokratie“ zum Ausdruck bringen, dass es sich bei diesem Auditierungs-Prozess eben um keinen „top down“-Vorgang handelt, der eben nicht von einer Stelle am „grünen Tisch“ beschlossen wird, sondern dass die Standardisierungen und Richtlinien der IVW demokratisch – via Beschlüssen und nach dem Konsenz-Prinzip / im Verwaltungsrat nach dem Mehrheits-Prinzip – gefasst werden und alle Werbeträgeranbieter, Medienagenturen und Werbetreibende (die Stakeholder der IVW) gemäß ihrer Gewichtung an Mitgliedsunternehmen (Kunden- und Agenturvertreter überproportional und an vielen Stellen mit einem „Veto“-Recht) an diesem Prozess beteiligt sind. Also der joint industry committee-Gedanke, dass Marktteilnehmer gemeinschaftlich -ohne z.B. staatliche Regulierung- Vereinbarungen treffen und durch eine neutrale Instanz umsetzen lassen. Das ist der altbewährte audit bureau of circulation-Ansatz (ABC), der in den USA bereits in den 1910er Jahren Einzug gehalten hat, in Deutschland aufgrund seiner historischen Entwicklung (I. WK, Weimarer Republik, NS-Diktatur und II. WK) aber erst von den West-Alliierten 1949 in Wiesbaden mit der IVW umgesetzt wurde und in dessen Tradition sich auch heute noch die IVW im internationalen Verbund der Verbreitungs-Auditierer „IFABCInternational Federation of Audit Bureaux of Certification wiederfindet.

Entsprechend auch die Korrekturen in einer frühen Fassung der Zeichensatzung, in der nachträglich jemand aus dem AVW-Zeichen das IVW-Zeichen machte.

Doch auch mit dem korrekten Akronym der Anfangsjahre trug die IVW noch nicht den heutigen Namen: Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern, sondern „Informationsstelle zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern“ – nochmals zur Erinnerung, ursprünglich sollte es AVW: Auskunftsstelle über die Verbreitung von Werbeträgern heißen. Also auch die „Feststellung“ ist erst auf dem Weg der Gründung der IVW hinzugekommen. Dieses eine Wort ist nicht unwesentlich, signalisiert es doch, dass die IVW nicht objektiv über die Verbreitung Auskunft geben kann, sondern dass die Verbreitung inter-subjektiv in einem Aushandlungsprozess über Standards i.S.v. Definitionen wie „Auflage“, einige Jahrzehnte später dann „PageImpression“ zustanden kommt. Wie stellt die IVW eine Auflage oder eine PageImpression fest? Unter Zuhilfenahme seitenlanger Richtlinientexte (0 konsensual getroffener Standardisierungen) und deren Auslegungen in Form von Durchführungsbestimmungen oder via einer Dokumentation von Einzelfallentscheidungen in einem Prüf-Wiki. Auf dieser Basis wird dem Mitglied zertifiziert, dass seine Werbeträgerleistung nach den standardisierten Verfahren der IVW korrekt ermittelt sind und für die Kommunikation der Werbeträgerleitung verwendet werden dürfen.

Wo macht der heutigen IVW aber nun der in den 1950er Jahren geprägte Name heute Probleme?

Zum einen bei der Verengung auf die Auditierung von Werbeträgern. Andere joint industry committees verwenden in ihren Satzungen bewusst den Begriff Medien oder Medienangebote. Gerne würde man heute auch Plattformen oder Aggregatoren miteinbeziehen und man muss nicht lange überlegen, welche Medienangebote aus der IVW-Ausweisung ausgeschlossen sind, weil sie die Werbeträgereigenschaft in bestimmten Ausspielkanälen ihres Angebots nicht erfüllen: z.B. die Digitalangebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter in Deutschland.

Zum anderen macht der Begriff „Verbreitung“ im Namen und damit auch in der Satzung der IVW heutzutage Schwierigkeiten: Was sollte unter den Begriff „Verbreitung“ subsummiert werden? Ist eine digitale Nutzung eine „Verbreitung“ oder kann dieser Begriff nur auf eine physische Auslieferung eines Werbeträgers (mittels des mittlerweile kostbaren Gutes Papier und auf einem Vertriebsweg) angewendet werden? Zugegeben teils philosophische Fragestellungen, dennoch tun sich manche in der IVW mit dem „Verbreitungs“-Begriff schwer, zumal er eine Verengung auf eine Zulieferung oder technische Nutzung vornimmt, hinter der nie ein Kontakt mit einem „Kopf“ also einem realen Menschen, der einen Werbeträger nutzt verbunden wird – weshalb die IVW ja nun schon über Jahrzehnte hinweg „nur“ Auflagen und keine Leser sowie Visits und keine User ausweist. Ob das aber in der immersiven always on-Medienlandschaft von heute noch zeitgemäß ist und ob man damit beispielsweise Subskriptionsangebote im Bereich paid content oder Streaming u.v.m. adäquat abbilden kann – fraglich?

Also mit dieser frühen Eingrenzung im Namen der IVW gibt es ein Problem, aber weiter. Was sieht man an den nun knapp ein dreiviertel Jahrhundert alten Dokumenten der IVW noch?

IVW-Briefpapier

Zur Geburtsstunde der IVW hatte die Organisation natürlich noch kein eigenes Briefpapier, sondern versendet die Korrespondenz auf den Bögen der Mutter-, heute Partnerorganisation, dem Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft (ZAW)

Bemerkenswert ist das Papier der damaligen Zeit – wohl aus Gründen der Materialknappheit waren die Bögen extrem dünn, so dass die Schrift durchscheint:

Auch heute ist das Thema Papier ja wieder in aller Munde und Alexander von Reibnitz, der Hauptgeschäftsführer von die Papierindustrie e.V. berichtet im diesjährigen IVW-Geschäftsbericht (2021/22) darüber.

Wer es sich aber Anfang der 1950er schon leisten konnte hatte „ordentliches“ Papier mit Prägung, wie dieser Sekthersteller, Mitglied im ZAW und frühes IVW-Verwaltungsratsmitglied für die Werbetreibenden:

Interessant auch, dass bei der Gründung der IVW, Deutschland noch in Besatzungszonen der Alliierten eingeteilt war und hier schon Verbände – die noch Arbeitsgemeinschaften hießen – agierten.

Und noch etwas, was heute antiquiert wirkt: Telegramme:

Und der [Microsoft Word-] Modus „Änderungen nachverfolgen“ der damaligen Zeit:

Unfassbar viele Änderungen im ersten Entwurfstext zur Auflagenmeldung für das erste Quartal 1950, dem schnell blitzsaubere Formulare in Papierform für die Auflagenmeldung folgten:

Aber um diese Phänome sollte es eigentlich laut Überschrift gar nicht gehen, das ist „Beifang“ der Recherche. Viel spannender ist der Blick auf das erste Briefpapier der IVW. Zeitgleich mit den Formularen erhält die IVW auch ihr erstes Briefpapier – noch ohne Logo:

Eines der sehr frühen Schreiben an den IVW-Verwaltungsrat noch auf Briefpapier ohne IVW Logo im Vorfeld zu einer Verwaltungsratssitzung im Februar 1950.

Was fällt bei diesem Briefpapier auf:

  1. Der Name der IVW ist noch nicht final: Informationsstelle, heute: -gemeinschaft
  2. Die IVW ist noch kein eingetragener Verein: dies erfolgt erst 1955 und
  3. Die IVW hat noch kein Logo, kein Zeichen

Das erste Briefpapier mit Logo gab es erst ab Sommer 1950 und zwar nicht in grün wie heute, sondern noch in Rot:

Wer das Logo -unser Dreieck- entworfen hat, was es gekostet hat und viele weitere Fragen bleiben im Verborgenen. In der IVW-Geschäftsstelle findet sich kein Schreiben dazu, vielleicht sind diese Informationen in einem der unzähligen eingelagerten Archiv-Kartons enthalten.

Serie der IVW-Logos aus den Briefköpfen der IVW von 1950 – 2021:

Nivea-Blau, Milka-Lila oder Sparkassen-Rot: Manche Farben werden wie selbstverständlich mit einer Marke in Verbindung gebracht. So heutzutage auch die IVW mit ihrem bodenständigen wirkenden grünen Farbton.

Manche Konzerne besitzt ein Markenrecht auf eine Farbe, wie etwa die Telekom, die um ihr Magenta sogar einen Rechtsstreit geführt hat. Die IVW wählte (nach rot) den Farbton grün: sicher aufgrund der oben schon genannten Bodenständigkeit, vielleicht aber auch, weil grün aus der Ampelsprache oder der Korrektur von Klassenarbeiten „korrekt“, oder „passieren“ bedeutet, rot hingegen „inkorrekt“ oder „stop“. Das grüne IVW-Logo signalisiert also, das nach der Auditierung mit dem Angebot gemäß den IVW-Regularien alles korrekt ist. Welche weiteren Assoziationen hat man bei der Farbe grün:

  • Was grün ist, ist meistens gut. Das zeigt sich nicht nur darin, dass etwas mit einem grünen Haken versehen wird, wenn es in Ordnung ist.
  • Solange etwas im grünen Bereich ist, besteht keine Gefahr – so beispielsweise bei Messgeräten.
  • Wie grün wahrgenommen und eingesetzt wird, hängt auch vom kulturellen Hintergrund ab. In Amerika wird grün beispielsweise mit Geld assoziiert – einfach deshalb, weil die Dollarnoten grün sind.
  • Soll ein Produkt einen finanziellen Gewinn versprechen, kommt grün zum Einsatz.
  • Die Psychologie spielt in der Werbung ohnehin eine große Rolle. Soll eine Marke als besonders umweltfreundlich dargestellt werden, finden Sie ganz sicher verschiedene Grüntöne im Label. So wirkt die Marke zudem frisch, natürlich und gesund.
  • Die Farbe Grün soll eine direkte Wirkung auf den Menschen haben. Ihr wird nachgesagt, bei Problemlösungen zu helfen. Deshalb sind Schultafeln auch häufig grün.

Farbtöne kann man sich seit 1995 patentieren lassen. Eine Farbmarke wird allerdings nur eingetragen, wenn die sogenannte Verkehrsdurchsetzung nachgewiesen werden kann. Das bedeutet, die Mehrheit der Verbraucher – die es ja bei der IVW nicht gibt – muss die Marke allein durch die Farbe erkennen. Das heißt, beispielsweise beim Nivea-Blau sofort an Nivea denken. Die IVW hat aus diesen Gründen Ihren Farbton nicht patentieren lassen, jedoch die Bildmarke wurde ins Patentregister eingetragen.

Die Farbe der IVW setzt sich wie folgt zusammen:

Grün (Website)
RGB: 0/149/71
CMYK: 83/11/88/1
#009547

Und seit den 2010er Jahren gibt es auch einen Styleguide, der die Verwendung der IVW-Farben und -Logos regelt:

Interessant ist, dass im ersten Entwurf der Zeichensatzung keine Abbildung aufgenommen wurde:

Aber schon 1950 wurden „Fülleranzeigen“ für die IVW entworfen:

Damit ist nun aber auch alles zum zweiten G gesagt. Nun zum dritten „G“ aus der Überschrift: Gender, also der Frauenanteil in der Organisation IVW.

Offiziell eingeladen war sie laut Anrede der Einladung nicht, denn dort steht „An die Herren Mitglieder des Verwaltungsrates“, trotzdem findet sich ein früher Beweis für Frauen in der IVW in einer Teilnehmerliste am Verwaltungsrat in den 1950er Jahren: EINE von 10 Delegierten war weiblich, immerhin 10% und promoviert musste sie natürlich sein – viel hat sich bis heute daran nicht geändert – die IVW-Gremien sind immer noch „white old man circle“:

Im OA Presse ist von 11 Delegierten eine Frau (9%), im OA Online sind von 25 Delegierten 4 Frauen (16%), im Verwaltungsrat sind derzeit von 36 Delegierten 7 Frauen (19%). Auf Verbandsebene entsendet die meisten Frauen in den Verwaltungsrat der Markenverband mit 3 der 7 Frauen.

In der Geschäftsstelle und unter den PrüferInnen der IVW sieht es jedoch besser aus. Zwar gibt es keine weibliche Printprüferin, aber von den acht Digitalprüfern sind 4 Frauen (50%) und in der IVW-Geschäftsstelle sind von den 22 MitarbeiterInnen immerhin 11 Frauen, also ebenfalls die Hälfte (aber keine in der Geschäftsführung oder der Bereichsleitung).

Die IVW also immer noch ein Altherren-Club? Davon kann sich jeder selbst ein Bild machen.

Diese Archivrecherche zeigt, dass die IVW durchaus wandlungsfähig war und immer noch ist:

  1. von Stelle zu Gemeinschaft,
  2. von rot zu grün,
  3. von Alt-Herrenclub bis quotenmäßig besetzte Geschäftsstelle.

Alles ist veränderbar und auch in der IVW gilt das angeblich Gustav Mahler zugeschriebene Zitat „Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.“ 

Und wir von der IVW brennen tagtäglich darauf für Wahrheit und Klarheit im deutschen Werbeträgermarkt zu sorgen!

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