Die Bundestagswahl 2021 – so digital wie noch nie!

Am 26. September fand die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag statt. Während die aktuelle Berichterstattung mittlerweile von Schlagzeilen über mögliche Wahl-Pannen geprägt ist, werfen wir einen Blick zurück auf den Wahlkampf. Genauer: Auf den digitalen Wahlkampf, denn auch in diesem Jahr waren die Parteien auf Stimmenfang im Netz.

Große Wahlplakate, TV-Trielle zur besten Sendezeit oder die persönliche Akquise potenzieller Wählenden in Fußgängerzonen – der Wahlkampf mit seinen klassischen Instrumenten dürfte in den letzten Wochen niemandem entgangen sein. Doch nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie verlagert sich der politische Diskurs immer mehr ins Internet und damit auch in die sozialen Medien. Die meisten Kandidierenden betreiben eigene Internetauftritte in Form von Facebook-Fanpages, Twitter-Accounts oder Youtube-Kanälen. So wollen sie Wahlberechtigte erreichen und von ihren Wahlprogrammen überzeugen. Facebook und Co. ermöglichen anhand von Big-Data-Technologien eine gezielte Ansprache. Aber wie funktioniert das? Und wie wirkt sich das auf die politische Meinungsbildung aus?

Gezielte Digitalwerbung mit Microtargeting

Microtargeting ist laut Definition eine datenbasierte Persuasionsmethode (Persuasion = Überredung), die als Kommunikationsstrategie darauf abzielt, Nutzerdaten zu sammeln, um politische Werbung zu personalisieren. Die Technik stammt aus dem Marketing: Man besucht eine Website, verlässt diese und bekommt dann eine Anzeige von genau dieser Website auf einer anderen Website ausgespielt (Retargeting).

Das ist die ökonomische Perspektive von Targeted Advertising, über die wir uns vermutlich alle schon einmal gewundert haben. Doch durch dieses datengetriebene Campaigning lassen sich auch Wahlkampf-Ressourcen zielgerichtet einsetzen. So werden im ersten Schritt Social-Media-Aktivitäten wie Likes, Kommentare oder Retweets und personenbezogene Daten aus den Profilen der Nutzenden gesammelt. Auf dieser Basis werden anschließend Zielgruppen definiert, also Modelle von wahlberechtigten Personen, die im Prinzip Rückschlüsse auf das Verhalten zulassen. So identifiziert eine Partei genau die Wählenden, die für ihre politischen Botschaften empfänglich sein könnten und Greta-Thunberg-Befürworter*innen wird das Wahlprogramm zum Klimaschutz angezeigt. Durch Microtargeting können Wahlkampfkampagnen also auf die Interessen der Wählenden abgestimmt werden, um diese zu überzeugen.

Insbesondere seit der Bundestagswahl 2017 investieren immer mehr deutsche Parteien in digitale Strategien, die durch dieses „sehr präzise Zielen“ geprägt sind. Der digitale Wahlkampf ist parteiübergreifend zum festen Bestandteil jeder Wahlkampfstrategie geworden. Im Bundestagswahlkampf 2021 nutzten alle im Bundestag vertretenen Parteien Microtargeting auf Facebook. Auf die Frage, in welchem Umfang die Technik eingesetzt werden würde, antwortete eine Partei beispielsweise: „Wir verfolgen in unserer Kampagne und Ansprache einen wählerzentrierten Ansatz und steuern unsere thematischen Angebote daher auch zielgerichtet aus. Im wesentlichen richten wir uns dabei nach Regionen (Postleitzahlgebieten). Nur im Rahmen der hohen deutschen Datenschutzstandards nutzen wir die Möglichkeiten der gezielten Wähleransprache, um mit Menschen in den Dialog zu treten.“ und „Wir messen unsere Aktivitäten mithilfe von Social Media Monitoring Software. Mit gezielten Microkampagnen setzen wir Themen im Netz, die uns wichtig sind“ (Kaspar, 2021).

Potenziale und Gefahren von Targeted Advertising

Der Vorteil ist, Nutzende sozialer Netzwerke bekommen genau die Informationen, für die sie sich interessieren und können sich so leichter über die zur Wahl stehenden Programme informieren. Zudem können sie Informationen außerhalb des eigenen Interessengebietes erhalten: „Durch ein dadurch resultierendes höheres Maß an Aufklärung in der wahlberechtigten Bevölkerung ergibt sich eine Chance für den Wahlkampfprozess, da die potenziellen Wählenden über eine höhere Menge an Informationen als Grundlage für die Wahlentscheidung verfügen.“ (Wegmann, 2020, S. 12). Es kann also von Vorteil für die gesellschaftliche Meinungsbildung sein, wenn politische Kommunikation genauer adressiert und kuratiert werden kann. Nicht nur für die Parteien, die von der effizienzsteigernden Ansprache und der geografischen Unabhängigkeit profitieren, sondern auch für die Wählenden. Nicht zuletzt erreicht man insbesondere junge Menschen über das Internet, wie eine Studie des Leibniz-Instituts für Medienforschung ergab. Im Jahr 2020 nutzten 56 Prozent der befragten 18- bis 24-Jährigen soziale Medien als Nachrichtenquelle (ein Anstieg von sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr). Zudem bietet das Internet eine geringschwellige Möglichkeit zum interaktiven Austausch, ein wichtiger Bestandteil des Meinungsbildungsprozesses. Wählende können sich über soziale Netzwerke mit Politiker*innen und Gleichgesinnten vernetzen.

Quelle: Wikipedia

Neben dem Potenzial im Hinblick auf die Effizienzsteigerung durch die zugeschnittene Ansprache gibt es aber auch das Potenzial zur Desinformation und Manipulation. So kann es passieren, dass konkurrierende Parteien sich im Rahmen von Desinformationskampagnen gegenseitig schlecht darstellen, um Wählende zu verunsichern und zu demobilisieren. Durch die fehlende Konfrontation besteht keine Chance zur Gegenargumentation. Ein bekanntes Beispiel für negatives Microtargeting ist der Skandal um Facebook und Cambridge Analytica 2018.

Damals wurde bekannt, dass Daten potenzieller Wähler*innen in großem Stil analysiert wurden, um über 87 Millionen detaillierte Persönlichkeitsprofile für Donald Trumps Wahlkampf einzusetzen. Beispielsweise wurden gezielt Negativinformationen über Hillary Clinton verbreitet, um das Wahlverhalten zu beeinflussen. Manche behaupten sogar, Microtargeting sei der Grund für Trumps Wahlsieg 2016 gewesen. Der Einfluss digitaler Technologien bei Wahlkämpfen wird ohnehin besonders in den USA sichtbar. Das liegt nicht nur daran, dass der Datenschutz deutlich schwächer ist als hierzulande, sondern auch am vergleichsweise hohen Budget (täglich fast eine Million US-Dollar für Online-Werbung im Wahlkampf 2016) und der öffentlich verfügbaren Datenbasis. So gibt es beispielsweise Firmen, die sich auf das Datensammeln spezialisiert haben: „Ihre Quellen sind zum Beispiel die Nutzerprofile in sozialen Netzwerken […]. Das Kampagnenmanagement in den Wahlbezirken kennt dann von namentlich identifizierten Personen nicht nur deren Adressdaten und Parteineigung, sondern zum Beispiel auch die Spendenbereitschaft, Besitzverhältnisse, Konsumverhalten, Mediennutzung und mitunter vieles mehr“ (Schulz, 2015, S. 36). An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass Microtargeting in Deutschland nicht in diesem Ausmaß betrieben wird. Zu den personenbezogenen Daten, die hierzulande gesammelt werden, gehören das Geschlecht, das Alter, die Postleitzahl oder grundlegende Interessen wie zum Beispiel die politische Einstellung.

Ein weiterer Risikofaktor von Microtargeting ist, dass werbefinanzierte Plattformen wie Facebook als Intermediäre zwischen Werbenden und Werbeempfänger*innen agieren. So haben sie die Möglichkeit, ihre Interessen zu vertreten, indem sie Anzeigenpreise bestimmen oder gar Parteien ausschließen. Immerhin verdient Facebook sein Geld größtenteils mit Microtargeting als Geschäftsmodell. Hinzu kommt, dass die Anwendung von Microtargeting ressourcenintensiv ist und dies den politischen Wettbewerb zugunsten der Kandidierenden verschieben könnte, die über die meisten finanziellen Mittel verfügen. Letztlich kann es zu einer verzerrten Wahrnehmung der Wählenden kommen, wenn Inhalte von Parteien durch das Decken mit (den zuvor analysierten) Interessen in den Fokus rücken. So beobachtete „Targetleaks“, dass eine Partei während des Wahlkampfs Facebook-Werbungen schaltete, die sich inhaltlich widersprechen. Menschen mit „grünem“ Interesse wurden Anzeigen für „mehr Klimaschutz mithilfe eines staatlichen CO2-Limits“ gezeigt, während die Zielgruppe „Vielreisende“ Botschaften wie „Keine staatlichen Maßnahmen, Freiheitseinschränkungen oder Verbote wenn es um große Herausforderungen wie den Klimawandel geht“ ausgespielt bekam. Zudem soll ein Bundestagsabgeordneter einer anderen Partei eine Facebook-Werbung an fragwürdige Zielgruppen gerichtet haben: „Seine Facebook-Werbung, in der er Zweifel an im Westen entwickelte Corona-Impfstoffen sät, richtete er an Menschen, die sich für den russischen Propagandasender “Russia Today” oder den Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen interessieren.“ (Targetleaks, 2021).

Aufgrund dieser Risiken werden mit Microtargeting Berichte über die Beeinflussung von Wahlen in Verbindung gebracht, die den Nutzen der Methode in Frage stellen. Schließlich stellt sich die Frage, ob digitaler Wahlkampf mit Unterstützung von Big Data, Algorithmen und Microtargeting nur die Fortsetzung politischer Werbung mit modernen Mitteln ist oder ob die Technik als Werkzeug der Manipulation potenzieller Wählenden die Demokratie gefährdet. „Mit der zunehmenden Bedeutung von politischer Kommunikation und Werbung im Internet stellen sich aber auch Fragen nach einer sinnvollen Regulierung und einem angebrachten Umgang mit Daten.“ (LpB BW, 2021). 

Quelle: Unsplash

Denn während klassische Wahlwerbung in Deutschland streng geregelt ist, hängt der Datenschutz in Sachen Microtargeting hinterher. Die automatisierte Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten wird zwar durch die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) festgelegt und setzt auch Grenzen für Microtargeting, jedoch unterliegt die Datenverarbeitung durch Facebook mehrerer Behörden. Weil soziale Netzwerke und Datenschutz grundsätzlich nur schwer vereinbar sind, setzt sich die Initiative „Who target’s me?“ für transparente politische Werbung ein und stellt eine kostenlose Browser-Erweiterung zur Verfügung.

Wofür steht ein IVW-geprüftes Angebot im Digitalbereich?

Medienkompetenz und Qualitätsjournalismus sind wichtige Aspekte für alle beteiligten Akteur*innen des datengestützten Wahlkampfes. Nutzende sollten verstehen, wie Informationen generiert werden und auf welche Weise sie ins eigene Blickfeld geraten. Zum anderen ist es wichtig, dass Transparenz und ein qualitativ hochwertiges Werbeumfeld gefördert werden.

Digitale Angebote der IVW erfüllen wesentliche Qualitätsanforderungen der Werbekunden und gelten auch deshalb als besonders hochwertig in der Branche.

Alle Websites und Apps der IVW durchlaufen kontinuierlich Prüfungen und Audits. Die IVW weiß nicht, wer hinter einem Visit steckt oder wann und wie lange ein Webseitenbesuch stattfindet. Die IVW-Messung führt auch nicht dazu, dass Nutzende Werbung aufgrund ihres Suchverhaltens ausgespielt bekommen, wie eingangs beschrieben. Geschäftsführer Dr. Kai Kuhlmann hat in einem früheren Artikel auf diesem Blog beschrieben: „Bei der IVW geht es nicht um Daten für Targeting, Re-Targeting, Conversion-Rate, Tracking, Profiling, Zielgruppenbildung etc. Es geht einzig und allein um die Stärke eines digitalen Werbeträgers, definiert über seine Nutzungsintensität.“

Ein weiteres Ziel für sichere Werbeumfelder, dem sich die IVW in Zukunft widmen könnte, sind Zertifizierungen verschiedener Kriterien der digitalen Markensicherheit (brand safety): die Qualität des Werbeumfelds oder Mechanismen zur Verhinderung von betrügerischen Zugriffen (fraud) sollen hier exemplarisch genannt werden. Vorstufen dieses komplexen Zertifizierungsprozesses sind meist Verhaltenskodizes, auf die sich die Stakeholder (Kunden, Agenturen und Medienanbieter) der IVW verständigen müssen. Unterzeichner verpflichten sich und ihre Vertragspartner freiwillig, die richtungsweisenden Kriterien für ihren Marktbereich (etwa das klassische IO-Geschäft oder programmatischer Einkauf sowie Auslieferung) einzuhalten.

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